Vorwort
Für jedes Zitat, das ich angeführt habe, habe die Quelle angegeben, unter der man es meiner Meinung nach am besten nachvollzogen werden kann. In einigen Fällen zitiere ich mehrfach aus demselben Werk, beispielsweise aus der Version von Qaḥṭānī des sogenannten „Kitāb as-Sunna“. In solchen Fällen habe ich darauf verzichtet, für jedes einzelne Zitat die Anfangsseiten der Edition zur Veranschaulichung des Drucks und Ähnlichem anzuhängen. Stattdessen habe ich dies nur bei der ersten Erwähnung des jeweiligen Buches getan.
An dieser Stelle habe ich bewusst darauf verzichtet, die Diskussion über den Namen des Buches zu thematisieren, um den Kontext nicht weiter auszuweiten. Auch wenn der Name des Buches von den Mujassima instrumentalisiert wird, liegt der Fokus hier vielmehr auf dem Inhalt des Buches und der uns vorliegenden Überlieferungskette. Wer ein tieferes Verständnis über die Überlieferungen
erlangt, keine Schwierigkeiten im Umgang mit ihnen haben. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass mehrere, sich voneinander unterscheidende Namen verwendet werden, um die vermeintlich vorliegende Version des Buches zu adressieren.
Ich habe an dieser Stelle bewusst darauf verzichtet, die einzelnen Zuschreibungen der klassischen Gelehrten zu thematisieren, die bestimmte Überlieferungen einem „Kitāb as-Sunna“ zuschreiben.
Die detaillierte Behandlung jeder einzelnen Überlieferung würde mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Diskussion über den Namen des Buches. Der Fokus dieser Ausarbeitung sollte auf dem textlich vorliegenden Material des sogenannten „Kitāb as-Sunna“ und seiner Überlieferungskette liegen. Die Überlieferungen, die von unseren klassischen Gelehrten zugeschrieben werden, betreffen nur einzelne Aussagen und nicht die Überlieferungen, die die Mujassima gerne als authentisch darstellen. Wer die Kernaussagen des uns vorliegenden Textes und seiner Kette verstanden hat, wird in der Lage sein, diese Prinzipien auch auf die zugeschriebenen Aussagen anzuwenden. Dadurch wird es möglich, die Täuschungen der Mujassima zu durchschauen und zu widerlegen. In diesem
Zusammenhang habe ich ebenfalls darauf verzichtet zu erwähnen, ob die Überlieferungen, die von klassischen Gelehrten genannt werden, überhaupt in der uns vorliegenden Version enthalten sind. Ich habe die Kritik und Schwächung der Muḥaqqiqūn an den Überlieferungen des Buches nicht im Detail thematisiert, obwohl es in diesem Zusammenhang vieles zu erwähnen gäbe. Dies gilt insbesondere für jene Überlieferungen, die von den Ghulāt der Mujassima für ihre Zwecke beansprucht werden.
Bewertung der Manuskripte und der Arbeit der Muḥaqqiqūn
Das Buch ist heute in unterschiedlichen Versionen durch verschiedene Muḥaqqiqūn vorhanden. Wir werden uns auf die beiden relevantesten Muḥaqqiqūn konzentrieren. Der erste Muḥaqqiq ist Muḥammad bin Saʿīd al-Qaḥṭānī, dessen Version auf den 10. Muḥarram 1406 nach Hijrah datiert ist. Seine Version wurde von unterschiedlichen Verlagen gedruckt, wie von Dār Ibn al-Qayyim aus Riad, Dār ʿĀlam al-Kutub aus Riad und anderen.
Diese Version ist außerdem online auf al-Maktaba ash-Shāmila vorhanden, jedoch ohne die ausführliche Einleitung. Wenn ich diese Version referenziere, werde ich sie „Qaḥṭānī“ nennen und zuschreiben. Qaḥṭānī ist, wie wir im weiteren Verlauf noch sehen werden, Teil der saudi-arabischen Lehrmeinung, und seine Kommentare und Ansichten stehen mit dieser in Übereinstimmung.
Der zweite Muḥaqqiq nennt sich Abū ʿAbdullāh ʿĀdil bin ʿAbdullāh Āl Ḥamdān. Ich werde seine Version und Person als Ḥamdān bezeichnen. Seine Version ist nicht datiert, wurde aber nach der Qaḥṭānī-Version verfasst. Wie wir noch sehen werden, kritisiert sie Qaḥṭānī. Sie wurde vom Verlag Dār al-Lu’lu’ aus Beirut und von einigen seiner Anhänger gedruckt. Ḥamdān wird der Sekte von Maḥmūd al-Ḥaddād, den sogenannten Ḥaddādīya, zugeordnet. Die Ḥaddādīya sind radikale Mujassima, die Takfīr auf klassische Gelehrten der Asha’ira sprechen, wohingegen gemäßigtere Mujassima, wie Qaḥṭānī, sogar sich auf Asha’ira, wie Sheikh al-Islām Ibn Ḥajar al-ʿAsqalānī (رحمه الله) berufen.
Folgende Manuskripte des Buches sind bekannt:
1. Das Exemplar der Ẓāhirīyah-Biblihothek in Damaskus
Es trägt die Nummer 1047 und wurde laut der Inschrift im Manuskript am Donnerstag, dem 19. Dhū al-Qaʿda im Jahr 644 nach Hijrah verfasst. Als Abschreiber wird im Manuskript al-Anjab bin Makkī bin al-Anjab bin Aḥmad aṭ-Ṭayyibī angegeben.
Sowohl Qaḥṭānī als auch Ḥamdān haben diese Version als Grundlage ihrer Arbeit genommen. Diese Version ist diejenige, die die Verleumdungen gegenüber Imām Abū Ḥanīfa (رحمه الله) enthält, die in anderen Versionen vollständig fehlt. Dieses Manuskript trägt den Namen „Kitāb as-Sunna“.



In Reihenfolge: Das Manuskript der Ẓāhirīyah-Biblihothek, Die ersten Seiten des Manuskripts der Ẓāhirīyah-Biblihothek und Das letzte Blatt des Manuskripts der Ẓāhirīyah-Biblihothek.
2. Das Exemplar der Biblihothek von ʿAbdullāh bin Ḥasan Āl „al-Shaykh“
Es befand sich in der Zentralbiblihothek der Umm al-Qurā Universität in Mekka mit der Nummer 1497. Laut der Inschrift des Manuskripts wurde es am Montag, dem 12. Jumādā al-‘Awwal im Jahr 783 nach Hijrah verfasst. Der Abschreiber gemäß dem Manuskript ist ʿAbdullāh bin Muḥammad bin ʿAbdullāh al-Ḥanbalī an-Nābulusī.
Sowohl Qaḥṭānī, als auch Ḥamdān, haben diese Version mit als Hilfe herangezogen. Das Kapitel über Imām Abū Ḥanīfa (رحمه الله) fehlt in dieser Version vollständig.


Die ersten Seiten des Manuskripts von Mekka und die letzte Seite des Manuskripts von Mekka.
3. Das Exemplar der saudischen Biblihothek in Riad mit dem Stempel von „asch-Shaykh“ Muḥammad bin Ibrāhīm Āl „asch-Shaykh“
Dieses Manuskript ähnelt dem zweiten, wobei jedoch ein beträchtlicher Teil des Buches – etwa ein Drittel – am Ende vollständig fehlt. Der Abschreiber ist ʿAbdulazīz Ṣāliḥ aṣ-Ṣayrāfī. Das Manuskript ist auf das Jahr 1283 nach Hijrah datiert. Es hat wenig Relevanz aufgrund der späten Datierung und der großen Teile, die fehlen.
4. Das Exemplar von Khudā Baksh aus Indien
Dieses Manuskript ähnelt ebenfalls dem zweiten, hier werden aber nicht die Khawārij erwähnt. Der Abschreiber ist unbekannt. Es ist auf das Jahr 1300 nach Hijrah datiert. Auch dieses Manuskript ist wenig relevant, da es eine späte Datierung aufweist, unvollständig ist und zudem der Abschreiber unbekannt bleibt, was seine Bedeutung weiter schwächt.
5. Das sogenannte Timuriden Exemplar
Dieses Manuskript ähnelt ebenfalls dem zweiten. Der Abschreiber ist unbekannt. Es ist auf den 13. Rabī’ al-Awwal 1329 nach Hijrah datiert, also ein relativ junges Manuskript von geringer Relevanz. Hinzu kommt, dass auch der Abschreiber wieder unbekannt ist.
6. Das Exemplar von Dār al-Kutub al-Miṣrīyya
Dieses Manuskript ähnelt ebenfalls dem zweiten. Der Abschreiber ist laut Manuskript Ibrāhīm bin Muḥammad bin Muḥsin at-Tuwayjirī. Das Manuskript ist nicht datiert und zeichnet sich durch eine sehr schlecht lesbare Handschrift aus. Es ist von geringer Relevanz.
Die größte Bedeutung für die Übertragung des Buches haben, wie jetzt klar geworden sein soll, das Manuskript aus Damaskus und das Manuskript aus Mekka. Da alle weiteren Manuskripte lediglich teilweise stark abweichende Kopien des mekkanischen Manuskripts zu sein scheinen, kann man sich auf dieses beschränken. Abschriften des Manuskripts aus Damaskus haben uns nicht erreicht.
Es ist besonders hervorzuheben, dass die Verleumdung gegenüber Imām Abū Ḥanīfa (رحمه الله) lediglich im Manuskript der Ẓāhirīyah-Biblihothek vorhanden ist. Bei allen anderen Manuskripten fehlen diese Überlieferungen. Wie bereits erwähnt basieren sowohl Qaḥṭānī als auch Ḥamdān primär auf dem Manuskript von Damaskus und sekundär auf dem Manuskript von Mekka.
Sowohl Qaḥṭānī als auch Ḥamdān sind Mujassima, aber es besteht kein Zweifel daran, dass Qaḥṭānī der aufrichtigere, wissenschaftlichere und derjenige mit dem geringeren Übel ist.
Die Version von Qaḥṭānī ist die wissenschaftlichere der beiden. Während Qaḥṭānī eine ausführliche Einleitung zum Buch anbietet, auf verschiedene Sachen eingeht, entscheidende Lücken im Buch zugibt und sogar Teile des Buches offen kritisiert, trotzt Ḥamdān dem. Ḥamdān ignoriert die Kette und tut so, als wäre bereits bewiesen, dass das Buch authentisch ist. Ḥamdān greift die Version von Qaḥṭānī im Vorwort zum Buch an, gibt jedoch keine Beispiele in seinem Vorwort, was denn seiner Meinung nach von Qaḥṭānī falsch übertragen worden sei. Qaḥṭānī kritisiert die Verleumdung gegenüber Imām Abū Ḥanīfa (رحمه الله), greift einzelne Überlieferungen des Buches an und sagt, dass diese Überlieferungen der ʿAqīdah der Salaf widersprechen! Sowohl Qaḥṭānī als auch Ḥamdān sind Mujassima, aber es besteht kein Zweifel daran, dass Qaḥṭānī der aufrichtigere, wissenschaftlichere und derjenige mit dem geringeren Übel ist.
Qaḥṭānī, obwohl er selbst ein Muajssim ist, hat genug Aufrichtigkeit gehabt, um hervorzuheben, wenn er keine Biografie einer Person gefunden hat.



Qaḥṭānī erwähnt, wenn keine Biografie zu finden ist.
كتاب „السنة“،منسوب إلى أبو عبد الرحمن عبد الله بن أحمد ،تحقيق محمد بن سعيد القحطاني
Qaḥṭānī sagt:
„Ich habe für alle Männer der Überlieferungskette die Biografie versehen, außer für wen ich nicht imstande war, eine Biografie zu finden. So erreichten die Biografien 1277 Biografien“
Das Buch hat nach seinem Taḥqīq 1553 Überlieferungen, er konnte 1277 Biografien finden. Es ist im Vergleich zu Ḥamdān hervorzuheben, dass Qaḥṭānī wenigstens die Ehrlichkeit besaß zu sagen, wenn er eine Person einfach nicht nachvollziehen konnte.
Ḥamdān erwähnt, dass er andere Bücher konsultierte, um die Überlieferungen abzugleichen. Es ist fraglich, warum er es als Stärkung des Buches betrachtet, denn die Überlieferungen aus beiden Büchern sind über die gleichen Wege überliefert. Die bloße Existenz der Kette und des Textes in mehreren Büchern stärkt weder die Kette noch den Inhalt. Vielmehr zeigt es lediglich, dass dieselbe Überlieferung über dieselbe Kette mehrfach überliefert wurde – nicht jedoch die Authentizität der Überlieferung selbst.
Ḥamdān kritisiert alle vorherigen Ausgaben. Er kritisiert, dass überhaupt irgendeine der Überlieferungen in diesem Buch hinterfragt wird, und bringt ein verallgemeinertes, kurzsichtiges Scheinargument vor. Seiner Ansicht nach ist es nicht möglich, eine Überlieferung, die von den Salaf überliefert wurde, zu kritisieren, da die Salaf per se als wissender in Fragen von Jarḥ wa-al-Taʿdīl gelten. Daher müsse man das, was sie angeblich überliefert haben, einfach akzeptieren, als wäre es unumstößlich. Subḥānallāh! Wie ist es möglich, so ein Argument zu bringen? Ḥamdān müsste eigentlich selbst in der Lage sein zu reflektieren und selbstständig zu erkennen, dass so eine Argumentation unsinnig ist. Aber seine kranke ʿAqīdah und Manhaj scheinen durch seine Aussagen. Es würde zu einem Anhänger der sogenannten Ḥaddādīya passen, dass er die Bewertung der Überlieferungen ablehnt und die bloße Wiedergabe einer Überlieferung mit ihrer Kette, als einen Beweis für ihre Authenzität akzeptiert. Die Gelehrten der Khalaf sind so wie die Gelehrten der Salaf die A’immah der Muslime. Ihre Worte sind von großer Bedeutung und großem Wert. Wie kommt also Ḥamdān dazu, Qaḥṭānī in Dingen zu kritisieren, die richtig sind, wie zum Beispiel, dass in diesem Buch Überlieferungen vorkommen, die mit der ʿAqīdah des Islāms unvereinbar sind? Wie bereits erwähnt verließ sich Qaḥṭānī auf klassische Gelehrten der Khalaf wie Sheikh al-Islām Ibn Ḥajar al-ʿAsqalānī (رحمه الله). Und im Lichte ihrer Einstufung fallen viele Überlieferungen komplett weg.
Ḥamdān aber glaubte daran, dass in diesem Buch nichts sei, was der ʿAqīdah der Salaf widerspreche.



Ḥamdān bestätigt das gesamte Buch
كتاب „السنة“،منسوب إلى أبو عبد الرحمن عبد الله بن أحمد ،تحقيق أبو عبد الله „عادل“ بن عبد الله آل حمدان
Ḥamdān sagt:
„In ihm ist nichts, was im Widerspruch zur ʿAqīdah der rechtschaffenen Salaf und worüber sie einer Meinung waren, steht“
Somit wundert es nicht, dass Ḥamdān jegliche Kritik oder gar Hinterfragung der Überlieferungen in diesem Buch ablehnt. Es ist ein Zeichen von purer Übertreibung. Wie die Gelehrten bereits überliefert haben, ist das alleinige Wiedergeben einer Überlieferung mit ihrer Kette, gemäß dem Manhaj der Muḥaddiṯūn keine Bestätigung per-se. So sagt Sheikh al-Islām Ibn Ḥajar al-ʿAsqalānī (رحمه الله):



كتاب لسان الميزان، ابن حجر العسقلاني، سليمان ابن أحمد بن أيوب اللخمي الطبراني
„Ismāʿīl bin Muḥammad bin al-Faḍl at-Taymī tadelte ihn (dafür), dass er die Überlieferungen einzeln sammelte, mit was von massiver Nakāra (Anomalie, ähnlich zu Shadh) und Mawḍūʿāt (Komplett erfunden) in ihnen ist und in einigen von ihnen ist die Schmähung über vielen von den alten, der Ṣaḥāba und anderen. Und diese Angelegenheit ist nicht speziell für aṭ-Ṭabarānī, so ist kein Sinn in seiner alleinigen (Erwähnung) heute. Vielmehr die meisten Muḥaddithīn in dem vergangenen Wirbelwind von Jahr 200 (nach Hijrah) und so weiter, wenn sie die Überlieferung mit ihrer Überlieferungskette zitieren, glauben sie, dass sie frei von seiner Verantwortlichkeit sind (dass es sie nicht bindet), und Allāh weiß es am besten“
Wenn er eine Überlieferung zitiert, dabei ihre Kette angibt und jede Überlieferung in diesem Buch genau so ist, dann ist dies kein Beweis für seinen Glauben an dieser Überlieferung.
Und Abū ʿAbdurraḥmān ʿAbdullāh bin Aḥmad bin Ḥanbal gehört zu den Muḥaddiṯūn ab 200 nach Hijrah, also trifft dieses Urteil auch auf ihn zu. Wenn er eine Überlieferung zitiert, dabei ihre Kette angibt – und jede Überlieferung in diesem Buch ist genau so – , dann ist dies kein Beweis für seinen Glauben an diese Überlieferung. Wir werden noch aufzeigen, dass die Überlieferungskette des Buches an sich überhaupt nicht authentisch ist. Qaḥṭānī selbst gibt zu, dass das Buch auf der Methodik der Muḥaddiṯūn basiert. Er sagt:

كتاب „السنة“،منسوب إلى أبو عبد الرحمن عبد الله بن أحمد ،تحقيق محمد بن سعيد القحطاني
„Weil dieses Buch aufgebaut ist auf der Methode der Muḥaddithīn in Zitierung jedes Ḥadīth oder ʾAthar mit der Überlieferungskette (…)“
Somit ist etabliert, dass die bloße Erwähnung einer Überlieferung mit ihrer Zuschreibung kein Beweis für den Glauben des Überlieferers an die jeweilige Überlieferung ist. Und das ist besonders der Fall für Abū ʿAbdurraḥmān ʿAbdullāh bin Aḥmad bin Ḥanbal, denn er gehörte genau zu diesen Muḥaddiṯūn und verfolgte diesen Manhaj.